[Bücher] „Oben ohne“ von Jutta Nymphius

Amelie hat es nicht leicht in der Schule. Zwar vergöttert sie Lina und Celine, aber die beiden tolerieren Amelie nur dann in ihrer Nähe, wenn diese mal wieder die Mathehausaufgaben für sie macht. Auch der wunderschöne Elias, für den Amelie heimlich schwärmt, hat sie bisher noch kein einziges Mal beachtet. Die Jungs in ihrer Klasse sind sowieso doof und machen sich nur über Amelie lustig. Kein Wunder, denn sie hat ja leider keine perfekte Sanduhr-Figur, sondern mehr einen Pyramidenkörper: oben schmal und unten breit. Fast täglich stellt Amelie sich vor ihren großen Spiegel in ihrer Kleiderschranktür. Was sie sieht, macht sie nicht glücklich:

Eine Weile sehen das Mädchen und ich uns an. Sein Blick wird immer trauriger, flehender. Irgendwie mag ich es, ja, das tue ich wirklich, aber ich kann ihm nicht helfen. So, wie es ist, ist es einfach nicht gut. Schließlich schießen dem Mädchen Tränen in die Augen. Das ist jedes Mal der Moment, in dem ich schnell die Schranktür wieder schließe.

„Oben ohne“, Nymphius, S. 45-46

Zu Beginn des Buches möchte ich Amelie nur in den Arm nehmen: Sie ist so unglücklich. Sämtliche YouTube-Videos sagen ihr immer wieder, dass sie eine absolute Problemfigur hat, die kaschiert werden muss. Kein Wunder, dass sie nur noch die weiten Hemden ihres Vaters trägt. An ihrer Schule hat sie keine Freunde und ihre Eltern streiten beinahe täglich miteinander – falls ihre Mutter überhaupt nach Hause kommt.

Doch dann lernt Amelie Kira kennen, die sitzengeblieben und nun in ihrem Biologiekurs ist. Kira ist so voller Selbstbewusstsein, voller „Leck mich doch, dir zeig ich den Mittelfinger“-Attitüde. Kira trägt, was ihr gefällt. Als die beiden ein Referat gemeinsam halten müssen, entwickelt sich langsam eine Freundschaft zwischen den Mädchen. Und dann stellt Kira auch noch den Kontakt zu Elias her. Nun wird alles gut. Oder vielleicht auch nicht.

Im Laufe der Geschichte macht Amelie meiner Meinung nach eine vermutlich leider absolut glaubhafte, aber nicht immer liebenswerte Entwicklung durch. Die Autorin zeichnet das Bild eines verzweifelten Mädchens, das einfach nur dazugehören und beachtet werden möchte. Das aber auf dem Weg dorthin plötzlich nicht mehr nach links und rechts guckt und ein bisschen vergisst, was eigentlich wichtig ist. Nach einem großen Showdown am Ende ist dann plötzlich alles gut: Friede, Freude, Streuselkuchen. Niemand ist nachtragend, alle Probleme lösen sich im Nichts auf. Das ging mir ein bisschen zu schnell.

Insgesamt hat mir „Oben ohne“ wirklich gut gefallen. Die Geschichte von Amelie passiert tagtäglich hunderten von Mädchen, das erlebe ich regelmäßig bei mir an der Schule. Jutta Nymphius gelingt es unglaublich gut, Amelies Gefühlslage zu beschreiben. Sie schafft Bilder, die unter die Haut gehen. Die Story ist leichtlesig und eingängig. Und gerade deswegen hätte ich mir gewünscht, die Autorin hätte sich für das Ende etwas mehr Zeit genommen.

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